Mit dem Elektroauto auf der Langstrecke: Sassnitz (DE) nach Sagres (PT)
Kürzlich hatte ich wieder mal eine Diskussion mit einem guten Freund über die Langstreckentauglichkeit (was für ein Wort) von Elektroautos. Dieser Freund lebt in München und meinte, Elektroautos seien eher nur dort sinnvoll, wo man gerade nicht mehr mit dem Fahrrad an sein Ziel kommt. Mein erster Gedanke war nur:
Wenn er seine Familie einmal pro Quartal in Ungarn besuchen möchte, ist das mit einem Elektroauto nicht möglich. Im Laufe der Diskussion konnte ich meinem Freund beweisen, dass dies sehr wohl möglich ist und habe mir dann gedacht, warum den Gedanken nicht auf die Spitze treiben?
Bei meinem Freund ging es nur um eine Fahrt von München nach Ungarn, aber was, wenn man durch "ganz" Europa fahren will? Um einen Urlaub zu machen, Freunde zu besuchen, oder (die beste Begründung) eine Road Trip durchzuziehen.
Um herauszufinden, wie geeignet ein Elektroauto wirklich ist für die Langstrecke, habe ich mich für die Route von Sassnitz (schöner Erholungsort an der Ostsee) in Deutschland nach Sagres (südwestlichster Punkt des europäischen Festlandes) in Portugal entschieden. Die Entfernung per Luftlinie zwischen den beiden Orten beträgt knapp 2.600 km.
Disclaimer: Es handelt sich hier nur um die fiktive Berechnung einer (hoffentlich) fiktiven Fahrt mit einem PKW quer durch Europa. Natürlich ist bei solchen Langstrecken eine Zugfahrt (OWID 2020) viel sinnvoller, als alleine mit dem motorisiertem PKW (egal welcher Antriebsstrang) durch halb Europa zu fahren.
Für Routenplanung wird als Fahrzeug ein Tesla Model 3 Standard Range Plus (EV-Database 2021) verwendet:
Marke | Modell | Akku Kapazität brutto [kWh] | Ladeleistung [kW] | Reichweite WLTP [km] | Reichweite EPA [km] | Reale Reichweite [km] | Reale Effizienz Brutto [kWh/100km] | Listenpreis brutto Ö [€] |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Tesla | Model 3 Short Range Plus | 55 | 170 | 430 | 423 | 384 | 14 | 46.100 |
Ich habe mich für dieses Modell entschieden, weil es (1) über ein funktionierendes Ladenetzwerk verfügt, (2) eine gute DC-Ladeleistung und adäquate Reichweite besitzt und (3) wahrscheinlich eher ein für Langstreckenfahrten genütztes Fahrzeug darstellt.
Zum Vergleich ziehe ich zwei Tools heran: A Better Routeplaner (ABRP, für Elektroauto) und Google Maps (gMaps, für den Verbrenner). Ich lasse über die beiden Tools jeweils die Route von Sassnitz nach Sagres berechnen und erhalte dadurch bei gMaps die Fahrtzeit und bei ABRP die Fahrt- und Ladezeit, welche in untenstehender Tabelle ersichtlich sind.
Dienst | Fahrzeugtyp | Fahrtzeit [hh] | Lade-/Tank-/Pausenzeit [hh:mm] | Gesamte Reisezeit [hh:mm] |
---|---|---|---|---|
Google Maps | Verbrenner | 31 | - | - |
A Better Routeplanner | Elektro | 32 | 6:40 | 38:40 |
Wie in einem anderen Blogeintrag bereits angesprochen, gibt es von der österreichischen ASFINAG die Empfehlung entweder nach 200 km oder 2 h eine Pause von etwa 20 Minuten von der Fahrt zu machen. Mit diesem Hinweis kann man die Pausenzeit (in welcher dann auch bei Bedarf getankt werden kann) für den Verbrenner berechnen*: Hier rechne ich zuerst einfach die Fahrtzeit (in Stunden) durch den zeitlichen Abstand, in welchem die Pausen erfolgen sollen (in Stunden), und erhalte so die Anzahl an Pausen über die untersuchte Fahrtzeit. Um eine Bandbreite anzugeben, habe ich einmal mit Pausen alle 2 Stunden (wie empfohlen) und das zweite Mal mit Pausen alle 3 Stunden gerechnet. Diese Anzahl an Pausen multipliziere ich dann mit 20 Minuten und erhalte so die empfohlene Pausenzeit (~ Tankzeit) über die gesamte Fahrt.
Wenn ich dann obige Tabelle noch um die Pausenzeit für den Verbrenner und die dadurch resultierende gesamte Reisezeit erweitere, kommt folgende Tabelle heraus:
Dienst | Fahrzeugtyp | Fahrtzeit [hh] | Lade-/Tank-/Pausenzeit [hh:mm] | Gesamte Reisezeit [hh:mm] |
---|---|---|---|---|
Google Maps | Verbrenner | 31 | 3:30* bis 5:10* | 34:30 bis 36:10 |
A Better Routeplanner | Elektro | 32 | 6:40 | 38:40 |
Somit kann zumindest für die Strecke von Norddeutschland bis ans Ende Portugals festgehalten werden, dass man mit dem Elektrofahrzeug bei einer gesamten Reisezeit von etwa 39 Stunden nur glorreiche zweieinhalb bis vier Stunden länger braucht, als mit dem reinen Verbrenner. Um diese längere Reisezeit in Kontext zu setzen ...
... man ist für diese Fahrtstrecke mit dem Elektrofahrzeug nur etwa 6.9% bis 12% länger unterwegs als mit dem Verbrenner.
Abgesehen von der nur marginal längeren Fahrzeit, stellt sich natürlich die Frage, ob ein "durchpressen" mit dem Verbrenner wirklich aus Blickpunkten der Fahrergesundheit und der Verkehrssicherheit nicht zu hinterfragen ist. Ein Elektroauto-Fahrender wird sozusagen zu seiner/ihrer Bio-Pause gewzungen.
Zweiter Zusatz aus meiner Sicht ist natürlich: Die Langstreckentauglichkeit eines Elektrofahrzeuges steht und fällt mit den Fahrzeugdaten (DC-Ladeleistung, Effizienz, Reichweite) und dem funktionierenden (Schnell-)Ladenetz. Deswegen habe ich mich oben für einen Tesla entschieden, weil diesen Standard grundsätzlich jeder Hersteller in Zukunft bieten sollte: Effizientes, schnell ladbares Fahrzeug mit einem funktionierendem Ladenetz.
Wenn ich obige Route noch einmal mit einem VW e-Up (Reale Reichweite 200 km, DC-Ladeleistung von 40 kW) von ABRP plotten lassen, dann erhöht sich die gesamte Reisezeit von knapp 39 Stunden beim Tesla auf über 52 Stunden. Mit dem e-Up verbringt man ca. ein Drittel der gesamten Reisezeit nur mit dem Aufladen des Fahrzeuges, beim Tesla liegt dieser Anteil nur bei knapp einem Fünftel. Jedoch ist zu hinterfragen, wie viele Fahrten durch ganz Europa mit einem e-Up (anstatt eines Teslas) durchgeführt werden.
Abschließend halte ich für mich fest, dass (gewisse) Elektrofahrzeuge sehr wohl geeignet für die Langstrecke sind und auch für einen "spontanen" Trip von einem Erholungsort in Nord-Deutschland zur Süd-West-Spitze Europas herangezogen werden können.
Juhu 🎉.