Elektroautos im Winter
Es ist wieder einmal jene Jahreszeit: Man geht im Finstern zur Arbeit, man kommt im Finstern von der Arbeit heim. Es ist saukalt draußen und man muss jeden morgen sein Elektroauto aus einem Iglu aus Schnee befreien. Schön, es ist Winter❄️.
Und weil es gerade so passend ist, schreibe ich einen Blogbeitrag über die größte Angst eines jeden Elektromobilisten, die Reduktion der elektrischen Reichweite des Fahrzeugs im Winter. Ganz frei nach dem Motto: Ey Mann, wo is' meine Reichweite!?
Und Achtung: Dieser Artikel wird lang.
Ich spalte ihn daher in drei große Kapitel auf:
- Gründe, warum kommen Elektroautos im Winter weniger weit als im Sommer?
- Auswirkungen, wie wirkt sich die Kälte auf die Reichweite von Elektroautos empirisch aus?
- Maßnahmen, was man gegen zu starken Reichweitenverlust unternehmen kann.
Für alle Ungeduldigen: Am Ende des Artikels gibt es eine Zusammenfassung.
Gründe für eine verringerte Reichweite
Grundsätzlich lassen sich die Gründe in drei Bereiche unterscheiden: Fahrzeugeigenschaften, Physik & Chemie (beschrieben in umgekehrter Reihenfolge).
Einleitung
Grundsätzlich haben Elektroautos gegenüber Verbrennern den Vorteil, dass ihr Antriebsstrang und speziell der E-Motor um einiges effizienter ist. Es gibt weniger bewegliche Teile, weniger Schmiermittel und meistens braucht es keine Getriebe, um das Fahrzeug zu betreiben.
Jedoch wird der vermeintliche Effizienzvorteil im Winter ins Gegenteil verkehrt. Gerade die Unfähigkeit des Elektroautos im Winter schnell Hitze durch den E-Motor zur Erwärmung der Traktionsbatterie zu erzeugen, führt dazu, dass eben jene Batterie nur eine verminderte Leistung erbringen kann.
Mittlerweile wird aber aufgrund empirischer Daten diskutiert, ob nicht eine zweite Verbraucherkategorie (neben der Batterie an sich) einen noch größeren Einfluss auf die Reichweite nimmt, nämlich die sogenannten "Nebenverbräuche".
Ich möchte vor der weiteren Analyse noch festhalten, dass die allermeisten Elektroautos grundsätzlich ähnliche Temperatur-Reichweiten-Kurven aufweisen dürften, egal welches Model untersucht wird. Damit sind die Überlegungen und speziell auch die Empfehlung dieses Artikels generell für Elektroautos stimmig. Auch wirken sich nicht nur zu niedrige, sondern auch zu hohe Temperaturen negativ auf die Reichweite (und auf die Batteriegesundheit) aus.
Die Chemie - Arrhenius lässt grüßen!
Grundsätzlich spielen sich die meisten interessanten Aspekte im Leben einer Traktionsbatterie im Bereich der sogenannten Elektrochemie ab. Eine Batterie ist ein elektrochemischer Prozess, bei dem Ionen und Elektronen involviert sind, um Leistung zu erzeugen. Knapp gesagt, wird dieser Prozess bei niedrigen Temperaturen verlangsamt und die Batterie hat eine verringerte Spannung, Kapazität und Leistung.
Ein Hauptgrund für eine schlechtere Leistung der Batterie bei starker Kälte ist die sinkende Spannung, aufgrund steigender Ohm'scher Verluste, geringere Diffusionsraten und einer verringerten Elektrodenkinetik.
- Die Ohm'schen Verluste (sprich der Innenwiderstand) steigen mit sinkender Temperatur. Vor allem bei der SEI-Schicht erhöhen sich die Widerstände.
- Eine geringere Diffusionsrate & schlechtere Viskosität im Elektrolyt führt zu weniger frei beweglichen Partikeln, damit zu weniger Massentransport (Ionen) und zu einer schlechteren Konduktivität. Ein schlauer Schwede namens Svante Arrhenius (Wikipedia 2021) hat diese Zusammenhänge in einem nach im benannten Gesetz beschrieben, die Mobilität im Elektrolyt als Funktion der Temperatur.
- Zusätzlich sinkt die Kinetik der anodischen und kathodischen Elektroden, wodurch die Mobilität der Elektronen eingeschränkt ist.
Zusätzlich zur chemischen Vorgängen, spielen aber auch noch andere eine Rolle.
Die Physik - Luft & Reifen
Um es kurz zu sagen, kalte Luft weist eine höhere Dichte auf, wodurch sich speziell beim schnelleren Fahren ein höherer Luftwiderstand ergibt. Zusätzlich sinkt mit niedrigeren Temperaturen auch der Reifendruck, wodurch sich der Rollwiderstand erhöht.
Das Elektroauto an sich
Nachdem sich dieser Artikel stark um Temperatur dreht, ist es interessant zu wissen, wo überhaupt die optimale Umgebungs- und Batterietemperatur für eine maximale Reichweite liegt. Um die maximale Reichweite erbringen zu können, ist es wichtig, dass die Batterietemperatur in einem konstanten Bereich gehalten wird. Knapp gesagt liegt die optimale Temperatur zwischen 15°C und 35°C, genauer gesagt im Bereich 20°C bis 25°C. In diesem Bereich kommen Elektroautos teilweise sogar weiter, als ihre geprüfte Reichweite ("rated range"), wohingegen sie darüber oder darunter Einbußen bei der Reichweite hinnehmen müssen:
![](/img/user/21 Homepage Alt/images/ev_winter_range.png)
Funktion der Reichweite (Reale Reichweite gegenüber Prüf-Reichweite) über die Temperatur (Verändert übernommen nach Geotab 2020)
Ein kleiner "Fun Fact":
Witzigerweise dürften sich Elektroautos genau bei jener Temperatur am wohlsten fühlen, bei der auch wir Menschen unsere Häuser gerne warm halten: Raumtemperatur.
Darauf aufbauend sind folgende Nebenverbräuche (neben der Elektrochemie) die Hauptschuldigen für die verminderte e-Reichweite im Winter:
- Batterieheizung: Nachdem der Elektromotor, wie oben beschrieben, leider zu effizient ist, um schnell genug Abwärme zur Heizung der Batterie zu erzeugen, muss die Batterie sich selbst heizen. Dabei wird im schlimmsten (& einfachsten) Fall der Batterie Strom entnommen, um eine Widerstandsheizung zu betrieben, bis die optimale Temperatur erreicht wird. Dieser Strom steht dann nicht mehr für den Fahrbetrieb zu Verfügung.
- Kabinenheizung: Das Aufheizen der Fahrzeugkabine dürfte vermutlich die größte Einzelursache für die verminderte Reichweite bei Elektroautos im Winter sein. Allein das Heizgebläse kann 3 bis 5 kW an Leistung benötigen. Dieser Strom steht dann wiederum nicht zur Verfügung.
Zusätzlich dazu wirken auch noch folgende negative Aspekte:
- Aufgrund der (elektrochemisch) verminderten Leistungsfähigkeit der Batterie ist auch die Rekuperation verringert, wodurch weniger Energie im Fahrbetrieb zurückgewonnen werden kann.
- Aus Sicherheitsgründen und um eine vorzeitige Alterung der Batterie zu verhindern, wird oftmals die maximale nutzbare Kapazität einer kalten Batterie künstlich begrenzt.
Auswirkungen auf die e-Reichweite
Zusammengefasst führen alle obigen Dynamiken dazu, dass ...
... Elektroautos im Winter zwischen 20% und 30% weniger Reichweite gegenüber dem Sommer (bzw. dem Prüfzyklus) aufweisen können.
Damit muss man rechnen, um eine böse Überraschung zu vermeiden.
Verbrenner-Zwischenstopp
Um die obigen Überlegungen in Kontext zu setzen: Wie so oft, wird zwar mit einem überkritischen Auge auf das Elektroauto geschaut, der Verbrenner bleibt dabei aber der Wolf im Schafspelz. Denn auch Verbrenner "leiden" unter der Kälte! Höhere Reibung rotierender Teile, zähere Flüssigkeiten und suboptimale Bedingungen bei der Verbrennung führen dazu, dass Verbrenner im Winter zwischen 20% und 25% höhere Verbrauchswerte aufweisen können.
Maßnahmen gegen Reichweitenverlust
Um Elektromobilisten jetzt noch etwas praktisches in die Hand zugeben und den Artikel positiv abzuschließen, hier die Maßnahmen, welche man treffen kann, um die Reichweite im Winter möglichst hoch zu halten:
- BMS: Das Batteriemanagementsystem eines Elektroautos kümmert sich meist automatisch um die optimale Betriebstemperatur. Moderne BMS sind bereits so raffiniert, dass vieles im Hintergrund passiert, um die Reichweite erfolgreich zu verlängern. So nutzen manche Autos die Abwärme des e-Motors und der Leistungselektronik, um die Batterie zu erwärmen.
- Sitz-/Lenkradheizung: Nachdem Motto "Wärme den Fahrenden, nicht das Auto", ist ein klare Empfehlung auf keinen Fall hauptsächlich die Fahrzeugkabine aufzuheizen, sondern stattdessen die Sitz-, Scheiben- und Lenkradheizung zu verwenden. Im Gegensatz zum Heizgebläse mit Verbräuchen im Kilowatt-Bereich geben sich die anderen Heizsyteme bereits mit wenigen Watt zufrieden.
- Wärmepumpe: Eine Wärmepumpe ist eine extrem effiziente Methode, um aus Strom Wärme zu erzeugen. Darauf sollte man beim Autokauf achten.
- Vorheizen: Oder wie der englische Name so schön heißt, "Pre-Conditioning". Sehr viele Elektroautos bieten die Möglichkeit das Auto via App vorzuheizen. Damit kann man das Auto auf die optimale Temperatur vor Abfahrt bringen, womit es das Auto und die Fahrerin schön warm haben. Man wärmt sich ja auch vorm Sport genügend auf. 😉
- Reifendruck: Kontrollieren und bei Bedarf erhöhen, damit der Rollwiderstand nicht unnötig hoch ist.
Conclusio
Um den ganzen Beitrag in eine zusammenfassende Form zu gießen:
- Die Gründe für die verringerte Reichweite im Winter ergeben sich aufgrund der höheren Ohm'schen Verlusten, der geringeren Diffusionsraten und der verminderten Elektrodenkinetik. Zusätzlich dazu führt kalte Luft zu höherem Luft- und Rollwiderstand. Jedoch wird vermutet, dass der Heizaufwand zur Erwärmung der Batterie und vor allem jener der Fahrzeugkabine einen mindestens ebenso negativen Einfluss auf die Reichweite hat.
- Als Ergebnis muss man mit einer um bis zu einem Drittel verminderten Reichweite gegenüber der im Prüfzyklus ermittelten rechnen.
- Als Gegenmaßnahmen sollte man auf das Heizgebläse der Fahrzeugkabine verzichten und stattdessen die Sitz- bzw. Lenkradheizung verwenden. Zusätzlich sind Fahrzeuge mit einer Wärmepumpe zu empfehlen. Als Geheimtipp sollte man das Fahrzeug vor Abfahrt auf die Wunschtemperatur vorkonditionieren, um gleich im optimalen Betriebspunkt zu fahren.
Und als Gedanke zum Abschluss: Wenn sogar die Norweger auf Elektroautos setzen, und da fahren schon mehr als die Hälfte aller neuen Autos voll-elektrisch (Ecomento 2021, EV-Sales 2021), dann sollten wir "Südländer" uns nicht zu viele Gedanken machen. 😁
Update 22.01.2021: Zum gleichen Thema gibt's einen Follow-Up Beitrag. Darin gibt es einen genaueren Einblick in die Leistung der Nebenverbraucher.
_Quellen für diesen Artikel:
8 tips for driving electric vehicles in cold climates https://www.geotab.com/blog/8-tips-for-driving-electric-vehicles-in-cold-climates/
Addressing the Impact of Temperature Extremes on Large Format Li-Ion Batteries for Vehicle Applications
https://www.nrel.gov/docs/fy13osti/58145.pdf
Bosch presenting new heat pump EV thermal management system at IAA; up to 25% increase in effective range
https://www.greencarcongress.com/2015/09/20150908-boschiaa.html
Do Electric Cars Work in Cold Weather? Get the Facts…
https://blog.ucsusa.org/dave-reichmuth/electric-cars-cold-weather-temperatures_
_Elektroautos im Winter: Praktische Tipps zur Reichweite
https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/elektromobilitaet/info/elektroauto-reichweite-winter/__
Wie winterfest sind Elektroautos wirklich?
https://www.wiwo.de/technologie/mobilitaet/reichweite-und-ladezeiten-bei-kaelte-wie-winterfest-sind-elektroautos-wirklich/26742130.html
Cold Weather Fuel Efficiency : Electric Versus Gasoline Showdown
https://www.fleetcarma.com/cold-weather-fuel-efficiency/
Fuel Economy in Cold Weather
https://www.fueleconomy.gov/feg/coldweather.shtml
HELP YOUR ELECTRIC BATTERY KEEP THE COLD AT BAY
https://easyelectriclife.groupe.renault.com/en/day-to-day/range/help-your-electric-battery-keep-the-cold-at-bay/
Maximizing Electric Cars' Range in Extreme Temperatures
https://www.energy.gov/eere/electricvehicles/maximizing-electric-cars-range-extreme-temperatures
20 popular EVs tested in Norwegian winter conditions
https://www.naf.no/elbil/aktuelt/elbiltest/ev-winter-range-test-2020/
Tesla Model S Recycles Waste Heat to Warm the Battery
https://insideevs.com/news/327663/tesla-model-s-recycles-waste-heat-to-warm-the-battery/
To what degree does temperature impact EV range?
https://www.geotab.com/blog/ev-range/
Why Car Batteries Perform Poorly in Cold Weather
https://www.comsol.com/blogs/why-car-batteries-perform-poorly-in-cold-weather/
Why do electric cars suck in cold weather?
https://www.extremetech.com/extreme/173256-why-do-electric-cars-suck-in-cold-weather
Why Electric Cars Struggle in the Cold—and How to Help Them
https://www.wired.com/story/electric-cars-cold-weather-tips/_